Virtueller Autismus
Inhaltsverzeichnis
Hinweis
Dieser Artikel befasst sich mit dem noch jungen Fachbegriff des virtuellen Autismus. Er soll einen kurzen Überblick zum Thema bieten. Es ist wichtig zu beachten, dass die Fachwelt derzeit noch viel zu diesem Thema und Begriff diskutiert und forscht.
Virtueller Autismus: Was ist das?
Fachleute nehmen an, dass der übermäßige Konsum digitaler Medien wie Inhalte auf Tablets oder Smartphones bei Säuglingen und Kleinkindern zu Symptomen bzw. Verhalten ähnlich wie bei Autismus-Spektrum-Störungen führen kann. Die Fachwelt verwendet den Begriff virtueller Autismus in diesem Zusammenhang. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, dass durch den Medienkonsum weniger echter sozialer Austausch stattfindet. Fachleute bezeichnen virtuellen Autismus auch als digitalen Autismus oder Pseudoautismus.
Bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen kann sich unpassender Medienkonsum zudem stärker auswirken, und Symptome können sich verschlechtern.
Welche Kennzeichen von virtuellem Autismus gibt es?
Zu Kennzeichen von virtuellem Autismus können zählen:
- Kein bzw. kein durchgehender Blickkontakt
- Geringere Zeitspanne, aufmerksam zu sein
- Keine Reaktion, wenn man mit dem eigenen Namen gerufen wird
- Schwierigkeiten, die Umgebung und Menschen rund um einen selbst wahrzunehmen
Diese Symptome können sich allerdings zurückbilden, sobald der Konsum der digitalen Medien wieder gestoppt und die gewonnene Zeit mit sozialen Interaktionen wie gemeinsamen spielerischen Aktivitäten verbracht wird. Soziale Interaktionen fördern auch die Bindung und eine gesunde Entwicklung. Sie wirken zudem einer sogenannten sozialen Deprivation entgegen.
Ist virtueller Autismus eine Diagnose?
Nein, virtueller Autismus ist derzeit keine Diagnose im Gesundheitsbereich bzw. keine Erkrankung. Er ist jedoch ein Hinweis darauf, dass die Nutzung digitaler Medien in der frühen Kindheit einen negativen Einfluss auf die Entwicklung haben kann und sich Symptome ähnlich wie bei Autismus entwickeln können. Die Fachwelt benötigt für weitere Zuordnungen mehr Forschungen und Evidenz.
Nähere Informationen zur Diagnosestellung von Autismus-Spektrum-Störungen finden Sie unter Autismus und Asperger-Syndrom.
Die Kinderärztin bzw. der Kinderarzt oder die Kinderpsychiaterin bzw. der Kinderpsychiater kann feststellen, ob zum Beispiel eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegen könnte. Die Symptome von virtuellem Autismus können auch etwa ADHS ähnlich sein. Die Ärztin oder der Arzt schlägt im Fall von Schwierigkeiten bei Entwicklung bzw. Verhalten weitere individuelle Abklärungen sowie Unterstützungsmöglichkeiten vor.
Welche Risiken kann der Konsum digitaler Medien auf die Entwicklung haben?
Konsum von digitalen Medien kann verschiedene Risiken für die kindliche Entwicklung haben. Die Risiken sind auch abhängig von Alter sowie Ausmaß des Konsums und Art der genutzten Inhalte. Fachleute haben Empfehlungen zum Umgang mit digitalen Medien (AWMF-Leitinie für Eltern zu Medienkonsum in der Familie) erstellt, um die Risiken zu senken und negative Auswirkungen auf die Gesundheit und die gesunde Entwicklung eines Kindes zu vermeiden.
Die Risiken für die Entwicklung durch digitale Medien können zum Beispiel betreffen:
- sprachliche Entwicklung,
- soziale Entwicklung bzw. Kompetenzen und Verhalten,
- psychische Entwicklung,
- Entwicklung der Bewegungsfähigkeiten,
- kognitive Entwicklung,
- Augengesundheit.
Dies könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass die Kinder nicht ausreichend Zeit zum Spielen haben oder zu wenig Zeit mit ihren Bezugspersonen verbringen.
Im Zusammenhang mit dem Gebrauch von digitalen Medien können auch andere Probleme auftreten, wie zum Beispiel Schlafstörungen oder auch Übergewicht bzw. Adipositas. Längerfristige Folgen von Bildschirmzeit vor dem Alter von drei Jahren mit möglicher Auswirkung im späteren Leben sind allerdings derzeit wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht.
Kann man virtuellem Autismus vorbeugen?
Fachleute empfehlen folgende Maßnahmen, um virtuellem Autismus bzw. den damit verbundenen Symptomen vorzubeugen:
- Keine Bildschirmzeit für Kinder unter drei Jahren.
- Begrenzung und Begleitung der Nutzung digitaler Medien.
- Altersgerechter Umgang mit digitalen Medien.
- Förderung von nicht digitalen Aktivitäten wie gemeinsamem Spielen, Bewegung im Freien.
- Stärkung der Medienkompetenz für einen angemessenen Umgang mit digitalen Medien von Bezugspersonen.
- Rechtzeitige professionelle Hilfe, wenn Auffälligkeiten bei Entwicklung bzw. Verhalten bemerkt werden.
Die Fachwelt forscht jedoch noch weiter zu möglichen vorbeugenden Möglichkeiten von virtuellem Autismus. Nachstehend finden Sie hilfreiche Maßnahmen für Eltern bzw. Bezugspersonen sowie wo Sie Rat finden.
Tipps zum Umgang mit digitalen Medien bei Babys und Kleinkindern
Fachleute empfehlen unter anderem folgende Maßnahmen im Umgang mit digitalen Medien bei Babys und Kleinkindern (in der Regel bezeichnet die Fachwelt Kinder ab dem Alter von einem Jahr bis zu sechs Jahren als Kleinkind):
- Keine Bildschirmzeit für Kinder unter drei Jahren; auch kein Mitschauen oder Mithören. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sehr kleine Kinder erst lernen, zwischen Realität und Bildschirminhalten zu unterscheiden.
- Maximale Bildschirmzeit für Kleinkinder von drei bis sechs Jahren: höchstens 30 Minuten pro Tag, mit bildschirmfreien Tagen dazwischen.
- Nur altersgerechte Inhalte sehen bzw. spielen und keine Gewaltinhalte.
- Bildschirmzeit begleiten – gemeinsam Inhalte ansehen bzw. anhören.
- Vor dem Schlafengehen, dem Essen oder dem Kindergarten keine Bildschirmzeit.
- Nicht digitale Alternativen zur Verfügung stellen bzw. anbieten: Zum Beispiel ein Lieblingsspielzeug oder Malstifte zur Beschäftigung bzw. gemeinsam ein Buch ansehen. Das fördert Nähe und echten zwischenmenschlichen Austausch. Dies ist in der frühen Kindheit besonders wesentlich.
- Digitale Medien nicht zur Beruhigung, Belohnung oder als Strafe einsetzen.
Weitere Informationen finden Sie in der AWMF-Leitinie für Eltern „Die wichtigsten Empfehlungen für den Umgang mit Smartphone, Computer, Spielkonsole und TV in der Familie“ sowie auf der Website der Frühen Hilfen.
Was können Eltern tun?
Wenn Eltern bzw. Bezugspersonen Auffälligkeiten in der Entwicklung oder im Verhalten ihres Kindes beobachten, ist eine Abklärung durch eine Kinderärztin bzw. einen Kinderarzt wesentlich. Diese bzw. dieser leitet gegebenenfalls weitere diagnostische sowie unterstützende Schritte ein.
Zudem ist es wichtig, sich über die Nutzung von digitalen Medien im Kindesalter zu informieren, diese zu begrenzen sowie zu begleiten sowie gemeinsam nicht digitale Spiele zu spielen.
Die Umsetzung von Empfehlungen zur Begrenzung des Medienkonsums oder allgemein von Erziehungsangelegenheiten kann auch herausfordernd sein. Holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung.
Wo finde ich Rat?
Bezüglich Fragen zur Kindesentwicklung bzw. zu Verhaltensauffälligkeiten können Sie sich an folgende Stellen wenden:
- Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde
- Kinder-Primärversorgungseinheit
- Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie (und psychotherapeutische Medizin)
Die Ärztin oder der Arzt leitet bei Bedarf weitere Schritte ein, z.B. Überweisung an spezialisierte Stellen wie eine Entwicklungsambulanz. Andere Gesundheitsberufe können zur Diagnose und Therapie hinzugezogen werden.
Zudem gibt es für werdende Eltern und Familien mit Kindern von null bis drei Jahren das Angebot der Frühen Hilfen. Dieses ist freiwillig, vertraulich, kostenlos und auch zu Hause möglich. Beispiele für die Inanspruchnahme der Frühen Hilfen sind z.B.: wenig Unterstützung im sozialen Umfeld, finanzielle Schwierigkeiten, Probleme im täglichen Zusammenleben oder psychische Probleme eines Familienmitglieds. Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Frühen Hilfen.
Bei Fragen rund um Herausforderungen im Alltag mit Kindern kann man sich etwa auch an die Online-Elternberatung von Rat auf Draht oder eine Familienberatungsstelle wenden.
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 6. Juni 2025
- Gesundheit Österreich GmbH
- Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Dr.in Sonja Gobara, MSc, Ärztin für Allgemeinmedizin, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde (Additivfach Neuropädiatrie), ÖÄK-Diplome für: psychosoziale, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin