Laut ICD-10, der internationalen Klassifikation der Krankheiten, liegt unter folgenden Voraussetzungen eine Fütterungsstörung vor: Nahrungsverweigerung, extrem wählerisches Essverhalten bei einem angemessenen Nahrungsangebot und einer einigermaßen kompetenten Betreuungsperson, kein Vorliegen einer organischen Erkrankung. Begleitend kann Heraufwürgen von geschlucktem Essen eine Begleiterscheinung sein (Rumination). Mittlerweile wird in aktuellen deutschen Leitlinien eine Orientierung an Empfehlungen der US amerikanischen kinderpsychiatrischen Vereinigung empfohlen.
Bei Fütterungsstörungen können verschiedene Probleme und Symptome auftreten. Je nachdem werden in der Medizin verschiedene Formen unterschieden:
- Regulations-Fütterungsstörung: Es zeigen sich vor allem Schwierigkeiten in Verhaltens- und Gefühlsregulation. Das Kind wirkt während des Fütterungsprozesses selten oder gar nicht zufrieden.
- Fütterungsstörung der reziproken Interaktion: Hier fehlen übliche Reaktionen des Kindes während der Füttersituation. Es gibt keinen oder kaum Blickkontakt, Lächeln oder Lautierung.
- Frühkindliche Anorexie: Nahrungsverweigerung (nicht aufgrund eines traumatischen Erlebnisses oder einer körperlichen Erkrankung) und deutlicher Wachstumsmängel treten auf. Kaum Interesse am Essen. Kann ab dem sechsten Lebensmonat auftreten.
- Sensorische Nahrungsverweigerung: Vermeidung von bestimmten Nahrungsmitteln (nicht in Folge eines traumatischen Erlebnisses oder einer körperlichen Erkrankung). Oft bei Einführung von Beikost (neuer Geschmack etc.).
- Fütterungsstörungen in Verbindung mit medizinischen Erkrankungen: Die Nahrungsverweigerung tritt bei einer Krankheit begleitend auf.
- Fütterungsstörungen in Verbindung mit unangenehmen Reizen/Erfahrungen in Bezug auf den oberen Verdauungstrakt (posttraumatische Fütterungsstörung): Nahrungsverweigerung nach unangenehmen Erfahrungen, die mit Reizen des oberen Verdauungstraktes zu tun haben (z.B. Sondennahrung, Absaugen, Würgereize etc.).
Ausführliches ärztliches Gespräch & Untersuchung
Zu Beginn der Diagnostik von Fütterungsstörungen steht ein ausführliches ärztliches Gespräch sowie die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) durch die Kinderärztin/den Kinderarzt. Dabei finden unter anderem folgende Punkte Berücksichtigung:
- Stillen
- Fütterungssituation
- Ernährung (Beikost etc.)
- Gewicht
- Essgewohnheiten in der Familie
- Tagesablauf
- sonstige Auffälligkeiten bzw. Symptome
- Belastungssituation der Eltern bzw. Familien-/Paarsituation
Ernährungsprotokolle können helfen, dem Essensproblem auf die Spur zu kommen. Ebenso findet eine körperliche Untersuchung sowie eine genaue Erfassung der derzeitigen Entwicklung des Kindes statt. Es können auch Laboruntersuchungen und andere Abklärungen zur Anwendung gelangen. Organische Ursachen müssen ausgeschlossen werden.
Weitere diagnostische Möglichkeiten
Besteht der Verdacht auf eine Fütterungsstörung ist neben der kinderärztlichen auch eine kinderpsychiatrische bzw. – klinisch-psychologische/ psychotherapeutische Diagnostik sinnvoll.
Videogestützte Verhaltensbeobachtung
Zeigen sich keine organischen Ursachen, hilft zudem ein psychotherapeutisches bzw. beratendes Gespräch weiter. Dabei kommen unter anderem auch videogestützte Verhaltensbeobachtung und Analyse der Fütterungssituation zum Einsatz. Auch die Beziehung zwischen Bezugspersonen und Kind wird dabei betrachtet, um hilfreiche Impulse für die Förderung dieser zu geben. Durch Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktionen ergeben sich Anregungen, die für Diagnostik und Therapie wichtig sind. Fütterungsprobleme äußern sich auch in Form von Bindungsproblemen. Nähere Informationen über Bindung finden Sie unter Eltern-Kind-Bindung.
Besteht bei der Bezugsperson/den Bezugspersonen eine psychische Belastung wird diese/diesen eine dementsprechende Beratung/Behandlung empfohlen. Denn eigene psychische Erkrankungen können sich nicht nur auf die erwachsene Bezugsperson selbst negativ auswirken, sondern auch auf den Verlauf der kindlichen Essstörung. Besondere Risikofaktoren sind elterliche Depression und eigene Essstörungen, aber auch Angst-, posttraumatische Belastungs- und Persönlichkeitsstörungen.
Hinweis
Eine kinderärztliche Untersuchung ist in jedem Fall von Fütterungsstörungen unumgänglich, um organische Ursachen auszuschließen beziehungsweise diese rechtzeitig zu diagnostizieren!